Das Achte Gebot

DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN.

Im hintersten Graben des vorletzten Kreises lässt sie Dante im Inferno leiden – die Verleumder und falschen Zeugen, die Ankläger und verlogenen Schwätzer. Viel schlimmer, scheint es, kann man nicht fehlen, als den anderen zu entehren durch Falschaussage und üble Nachrede. Und doch ist es mit Zeugnis oft schwierig: vor sich selbst, vor den anderen und für die anderen. »Aus ein und demselben Mund kommen Segen und Fluch«, heißt es im Jakobusbrief. Im Rahmen des DEKALOG-Projektes suchen zeitgenössische Autoren eigene Zugänge zu den biblischen Geboten und kommen zu überraschenden Interpretationen. 

3. November 2016 um 19 Uhr 

»Doch die Zunge kann kein Mensch zähmen« (Jak 3,8)

Es lasen: Petra Morsbach | Annete Pehnt

Moderation: Dr. Ludger Hagedorn


Auszug aus Der Mensch ist eine Quasselmaschine von Petra Morsbach:

Von den zehn Geboten hörte ich erstmals vor dreiundfünfzig Jahren in der Zwergschule Angermund / Nordrheinwestfahlen während eines Schulgottesdienstes im evangelischen Diasporakirchlein. Nur zehn Gebote müßten wir auswendig wissen, sagte der Lehrer, und wir atmeten auf, da er zuvor von dreihundert gesprochen hatte. Also, erstens: Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Einverstanden: Wir wären gar nicht auf die Idee gekommen, andere Götter zu haben. Du sollst dir kein Bildnis machen: das verwunderte schon eher, da wir viele Bilder von Rauschebärten auf Wolken gesehen hatten. Aber man nimmt in dem Alter ja vieles hin in der Annahme, daß es sich eines Tages von selbst klären werde, wie etwa die Begriffe Keuschheit und Ehebruch. Und nun also das achte Gebot: Du sollst kein falsch Zeugnis reden. Der Lehrer mußte uns die Worte Zeugnis, wider, Nächster erst übersetzen. Ich erinnere mich an mein Erstaunen. Von Töten und Stehlen hatte ich bereits gehört, aber üble Nachrede, das war neu. Auch die archaische Sprache machte Eindruck. Der Satz war unvergeßlich und hatte sofort Gesetzeskraft für mich.


Auszug aus Schon gehört von Annette Pehnt:

Das bleibt aber unter uns. Ich meine, ich möchte ja nicht. Auf keinen Fall. Wenn das einmal in Umlauf kommt, du weißt ja. Keine Sorge, ich behalte es für mich. Wem sollte ich es denn auch. Ich meine, du kennst mich. In der Hinsicht kannst du dich wirklich auf mich. Es bleibt unter uns, natürlich. Natürlich. Es ist ja nicht so, als hätte ich nicht auch schon so einiges gehört. Ich meine, man läuft ja nicht blind und taub durch die Gegend. Und weißt du, ich interessiere mich ja auch für die Menschen. Da bleibt das eben nicht aus. Ich bin ziemlich im Bilde, denke ich. Ich finde, man sollte sich da ruhig auch austauschen. Ich meine, sonst weiß man ja nichts voneinander. Was weiß man denn schon voneinander. Das hat ja mit Lästern jetzt erstmal nichts zu tun. Das hat erstmal was mit Zuhören zu tun. Ich bin ganz Ohr. Schieß los. Bei mir brauchst du nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen, weißt du. Ich meine, wie lange kennen wir uns. Da kann man auch mal frei von der Leber weg. Da kann man eben einfach auch mal sein Herz. Sein Herz ausschütten. Sein Herz auf der Zunge tragen. Mal den Kopf ausschalten. Aus’m Bauch raus. Ich bin ganz Ohr. Schieß los. Spuck’s aus. Immer raus damit! Ich muss das eben auch mal loswerden. Du musst das ja auch mal loswerden. Ich meine, man darf nicht immer alles runterschlucken. Sonst wirst du krank, das haben auch wissenschaftliche Studien ergeben. Du?musst dich ja auch mal erleichtern. Denk auch mal an dich. Das ist wichtig, auch mal an sich zu denken, ich meine an mich. An dich.