Ein musikalisches »Nachdenken« über die Gebote – kann es das geben? Widerspricht nicht der Wortgehalt, die Macht des Wortes, gerade im Gestus der Weisung, jeglicher Interpretation durch Klang und Gesang? Und doch ist die Musik geeignet, den unermesslichen Abstand zwischen Ruf und dessen (Ein)Vernahme zu thematisieren und damit auch die tiefe Zerrissenheit des Menschen zum Ausdruck zu bringen, der zwischen Gut und Böse zu unterscheiden hat, aber häufig nicht zu unterscheiden weiß. Die DEKALOG-Auftragskompositionen forderten zum Nachdenken auf, sie dienten nicht der Zerstreuung, sondern verlangten Konzentration. Sie machten empfänglich zur Wahrnahme des göttlichen Wortes, begleiteten uns, ohne bloße Begleitung zu sein.
Im halbjährlichen Turnus wurden zehn vom Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken geförderte Kompositionsaufträge an ausgewählte Musiker vergeben. Die Werke wurden anlässlich von ökumenischen Vespern – ein bewährtes Programmformat der beiden Stiftungen – uraufgeführt. Korrespondenzen zwischen musikalischer und literarischer Interpretation entstanden in dem jedem einzelnen Gebot gewidmeten Veranstaltungssegment MUSIK & LITERATUR. Die Öffnung hin zum Publikum, aber auch eine Verdichtung der Wahrnehmungsformen stand dabei im Mittelpunkt: Im Rahmen von Soireen wurden die Texte des Literaturprogramms nicht mehr von den Autoren selbst, sondern von Schauspielern vorgetragen. Ton, Wort und Schrift erwiesen sich einmal mehr als seit alters her vertraute, den Sinn des Heiligen immer wieder neu erschließende Ausdrucksformen.