DU SOLLST DEN NAMEN DES HERRN, DEINES GOTTES, NICHT UNNÜTZ GEBRAUCHEN.
Seit jeher fühlen sich Künstler inspiriert, den Sinngehalt der Zehn Gebote mit den Mitteln der Musik, der Sprache und des Bildes zum Ausdruck zu bringen. Die Warnung des Zweiten Gebots sowohl vor einer Vermenschlichung Gottes als auch vor einer Vergöttlichung von Menschen und Dingen hat besondere Aufmerksamkeit gefunden, vor allem weil es dabei um die Bedingungen von Glorifizierung und Anbetung, Verehrung und Ehrfrucht geht.
15. September 2013 um 20 Uhr
»Gott, letztendlich negativ.«
Es lasen: Kathrin Schmidt | Uwe Kolbe
Moderation: Irina Liebmann
Auszug aus Gott, letztendlich negativ von Uwe Kolbe
Lesen wir das zweite Gebot in der Fassung Martin Bubers und Franz Rosenzweigs, bei denen sich der sogenannte ethische Dekalog in dem »Buch Namen« findet: »Nicht mache dir Schnitzgebild, – und alle Gestalt, die im Himmel oben, die auf Erden unten, die im Wasser unter der Erde ist, neige dich ihnen nicht, diene ihnen nicht, denn ICH dein Gott bin ein eifernder Gottherr, zuordnend Fehl von Vätern ihnen an Söhnen, am dritten und vierten Glied, denen die mich hassen, aber Huld tuend ins tausendste denen die mich lieben, denen die meine Gebote wahren.«
So war das also, kurz gesagt: Kein Schnitzgebild sollte ich mir machen. Schon sehr früh habe ich mir aber eines gemacht. Da hockte ich nämlich in dem Wald meiner Furcht, und was mich dort unheimlich anwehte, dem gab ich ein Gesicht an meinem Wanderstab. Als ich fertig war mit dem Schnitzen, packte ich ihn an und ging sicheren Schritts von dannen. Nun war ich gewappnet, nun ging ich gefeit meines Wegs. Ich hatte mir den verfügbar gemacht, der größer war als ich, dass er mir diente zum Schutz unmittelbar.
Auszug aus Tagundnachtgleich von Kathrin Schmidt
Sie freute sich. Hätte Gott sie beobachten wollen, wäre ihm das Lächeln nicht entgangen, mit dem sie in den nächsten Stunden einen Quarkkuchen buk, Melanies Bett bezog, die Zimmer wischte und schließlich gegen Abend die Wäsche von der Leine nahm, sie drinnen faltete und die zu mangelnden Stück beiseitelegte im großen Korb, in dem Melanie die ersten drei Lebensmonate verschlafen hatte. Sie strich über das Geflecht und sah ein Neugeborenes darin liegen, ehe sie mit einem Ruck auf sich zurückkam und ihre Hand nach Melanies letztem Buch angeln ließ. Die Beginen. Marguerite Porete. Gott durchströmte den Text, sein Name fiel auf jeder Seite. Melanie, die ihn doch nie gebraucht hatte!, gebrauchte ihn, um etwas zu sagen, das auf einmal in Birgit Klempenows Eingeweiden zu rumoren begann. Es zog ihren Kopf erst einmal noch tiefer in die Schultern und brachte ihre Gedanken zum Aufstieben, dass sie Mühe hatte, sie zu ordnen. Die Beginen bedurften Gottes ja auch, um sich unter seinem Namen zu sammeln wie unter einem Schild, das sie vor Anfeindungen schützen und in den engen Verhältnissen des Mittelalters zu freierem Leben verhelfen konnte! Sie alle sagten »Gott«, ohne ihn in jedem Falle zu meinen… Die eine hatte nach Möglichkeiten gesucht, lesen und schreiben zu lernen, die andere hatte ihre Weberei nicht anders zu verkaufen gewusst in der Handwerkswelt der Männer. Sie hatten sich in Gottes Namen versammelt, ein Stückchen näher zu sich selbst zu kommen, und sie hatten es womöglich in der Not getan, keinen anderen Namen zu kennen…