Das Neunte Gebot

DU SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN HAUS.

»Der Mensch ist unzufrieden, sagte sich Mendel. Eben hat er ein Wunder erlebt, schon will er das nächste sehn. Warten, warten, Mendel Singer.«

Auch mit Wundern gibt der Mensch sich nicht zufrieden – erst recht nicht mit dem, was er im Alltag so hat und sein eigen nennt. Immer schöner und größer soll das Haus sein. Wir wissen nur zu gut darum. Und doch bedarf es großer Erschütterungen, eines »Wunders« vielleicht, bis uns die andere Glückserfahrung eines Mendel Singer aus Joseph Roths Hiob erreichen kann. »Und er fuhr an der Seite seines Sohnes in den vierundvierzigsten Broadway, ins Astor Hotel.«


25. Mai 2017 um 19 Uhr 

»Der Mensch ist unzufrieden ...« (Joseph Roth, Hiob)

Es lasen: Lutz Seiler | Jens Sparschuh

Moderation: Pater Dr. Hermann Breulmann SJ


Auszug aus Meine Wohnung von Lutz Seiler:

… Mit einem Sack voller Werkzeug auf dem Rücken und ein paar einfachen Türschlössern, die ich beim Eisenwarenhändler Castorf in der Pappelallee erworben hatte (Castorf galt als Spezialist für den Wohnungs- und Hausbesetzerbedarf), bog ich in die Sorgestraße ein. Die Gegend war heruntergekommen und erschien mir auf besondere Weise fremd und darin streng, ich kann es nicht anders beschreiben. Schon der Weg nach Friedrichshain war trist gewesen. Doch überall hier in den Hinterhäusern gab es die Höhlen, in die man sich verkriechen konnte, um von dort aus, gut verborgen, der neuen Welt den eigenen Anteil abzutrotzen: …


Auszug aus Von Baumhäusern und anderen Luftschlössern von Jens Sparschuh:

… So wahnsinnig begehrenswert ist, was sich dem staunend durch die Jetzt-Welt Flanierenden links und rechts der Straße an Häusern darbietet, nun wirklich nicht. Große Fertighausanbieter werben für die fragwürdigen Produkte ihres Schaffens übrigens gern damit, dass sie ihrer Kundschaft ganz individuelle Zuschnitte anbieten – ich frage mich: Sehen die Dinger deswegen alle so gleich aus?

Am kleinen Backsteinbahnhof unseres märkischen Sommerdorfes ist der Werbespruch einer Security-Firma angeschraubt, die sich auf die Bewachung dieser, über unserem schönen Landstrich abgeworfenen Pappkisten spezialisiert hat: »Wir schützen, was Ihnen heilig ist.« …